Für viele Menschen sind das unvereinbare Gegensätze. Für mich ist es gerade umgekehrt: Beides gehört zusammen. Das Eine ist geradezu auf das Andere angewiesen. Die Wissenschaft wird sonst gerne zu einem Ersatz für den Glauben und umgekehrt läuft der Glaube ohne das Denken Gefahr zu einer Doktrin zu pervertieren.
Theologie als Wissenschaft
Auch Theologie und Glaube sollten nicht verwechselt werden. Theologie ist eine Wissenschaft, geisteswissenschaftlicher Richtung. Für mich ist es vorab historisch-kritische Wissenschaft, die sich um das Verständnis der Bibel und ihres Umfelds bemüht. Sie ist damit schon im Ansatz reformatorische Theologie, im Wesentlichen geschichtliche und sprachliche Wissenschaft, Religionswissenschaft, auch Wissenschaft der Kommunikation, wo es um das Verständlichmachen der Botschaft geht (Hermeneutik, Homiletik). Dazu geht es auch um philosophisches Denken in der Systematik (Dogmatik und Ethik) und im Gespräch mit allen andern Wissenschaften. Es geht um Pädagogik und Sozialisation (Religionspädagogik), um die Kunst der Führung und Organisationsentwicklung, um Seelsorge und Beratung und in dem allem natürlich auch um alle Arten von Psychologie. Insgesamt also ein sehr komplexes und hochinteressantes Studien- und Arbeitsgebiet.
Über mich
Martin Hess, Pfarrer em., Theologe
Nach dem Studium an den Universitäten Basel und Zürich, war ich Gemeindepfarrer an verschiedenen Stellen, Mitglied von Synoden, Kommissionen und Kirchenbehörden, Vicepräsident eines Synodalrats (Exekutive), Spitalpfarrer, Seelsorger am Aids-Spital „Sune-Egge“, Mitglied Spitalleitung und Leiter des Seelsorge- und Beratungszentrums der Stiftung Sozialwerke Pfr. Sieber in Zürich.
Aktuell und gelegentlich bin ich weiter als Verweser im Kirchendienst tätig.
Besonders an meinen Predigten bestand auch nach meiner Pensionierung eine gewisse Nachfrage. Darum und als Anregung für Kolleginnen, Kollegen und Studierende publiziere ich sie auf dieser Homepage – nebst einigen theologischen Arbeiten und Statements zu aktuellen Fragen.
Es freut mich, wenn sie dein Interesse finden – und jedes Feedback.
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Kirche erneuern II
Einsichten
Die «normalen» Gottesdienste sind in den meisten Gemeinden nur noch sehr schlecht besucht, von wenigen sehr grauen Häuptern, die eins nach dem anderen wegsterben. Ersetzt werden sie nur von vereinzelten «youngsters» im fortgeschrittenen Alter. Der Rückgang in den letzten Jahrzehnten ist erschreckend. (Ausnahmen sind ein paar wenige, fundamentalistisch-evangelikale Gemeinden mit regionaler Ausstrahlung und einige Freikirchen).
Für die weitaus meisten (noch) Kirchenmitglieder gehört der Gang zur Predigt nicht mehr zu ihrem Leben. Noch nicht ausgetreten zu sein, ist ein letztes Bindeglied. Einige davon machen noch bei diakonischen Aufgaben mit, z.B. beim Suppe verteilen am Suppentag für einen guten Zweck.
Viele Kinder werden nicht mehr getauft. Der soziale Druck dazu ist weggefallen.
Viele Paare werden nicht mehr kirchlich getraut – und wenn, die meisten nur wegen des filmreifen Rahmens in einer alten Kirche (in «modernen» eher nicht).
Den Konfirmandenunterricht besuchen viele Jugendliche nicht mehr. Von den verbleibenden die meisten noch aus Konvention, der Eltern wegen und wegen der fürstlichen Geschenke von Paten und Angehörigen. Die wenigsten aus Interesse an der Sache – und wenn, an welcher Sache (was sind verbreitete, «erfolgreiche» Unterrichtskonzepte)?
In jüngster Zeit, speziell infolge der Corona-Situation, werden auch kirchliche Abdankungen massiv weniger nachgefragt. Das Sterben und von Verstorbenen Abschied nehmen wird nicht mehr als eine kirchliche oder gesellschaftliche Sache verstanden, sondern vorab als private, familiäre, ausser die Verstorbene ist eine bekannte Person des öffentlichen Interesses oder mit anerkannt grossen Leistungen gewesen und als solche noch bekannt, und/oder die Familie will sich anhand dieser Situation als besonders wichtig darstellen.
Die Kirchenreform 26/30 im Aargau – und Kirchenreform generell
Nach dem Bericht im a+o Nr. 3, März 2023, S. 10f., sind viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der «Mitreden!»-Anlässe wenig zuversichtlich, dass diese Kirchenreform viel bringen wird. Sie beklagen die Theologielastigkeit an den Anlässen, das heisst wohl, dass sie lieber ohne oder sogar gegen die Theologie etwas verändern möchten an der Kirche, aber was? An der Basis – oder auch an der Basis – nehmen offenbar Leute mit ganz verschiedenen, vorgefassten Meinungen teil, die für sie eigentlich nicht verhandelbar sind. Viele wollen gar nicht viel verändern (Insider?). Gibt es überhaupt andere Teilnehmer als Insider?
Ich stelle auch in Kirchenpflegen fest, dass da mehrheitlich Menschen mitwirken, die über die eigentlichen Inhalte und Aufgaben der Kirche (theologisch) kaum mehr eine Ahnung haben, z.T. katholisch sozialisiert wurden oder mit Fun und Fensterplatz durch den Unterricht gegangen sind. Sie haben kaum Kenntnisse über biblische Inhalte oder die Kirche, die über allgemeine Meinungen und Vorurteile aller Menschen hinausgehen. Sie sind der Kirche gegenüber noch ziemlich positiv eingestellt, besuchen aber selber auch keinen Gottesdienst, ausser wenn sie dort eine Funktion als Kirchenpflegemitglied erfüllen müssen.
Sind Fragen zum Gottesdienst sinnvoll?
Fragen stellen die Verantwortlichen der Redaktion a+o nur oder vor allem zum Gottesdienst, die Fragen von Bernd Berger und Matthias Zeindler im «Ensemble» vom August 2022, Fragen zu persönlichen Vorlieben, Musikstil, Gottesdienstort, wie, warum und dass sie sich angesprochen und beheimatet fühlen.
Thesen
Beginnend mit dem Gottesdienst lässt sich Kirche nicht erneuern.
Man kann meiner Meinung nach nicht mit einem besseren, attraktiveren, anderen Gottesdienst(stil) wieder mehr und andere Leute ansprechen und dazu animieren, dass sie regelmässig zum Gottesdienst kommen. Das ist illusorisch. Der Megatrend in der Gesellschaft spricht dagegen.
Ansetzen muss man an einem ganz anderen Ort:
Bei der Diakonie und bei der Bildung.
Die Kirche muss durch ihre diakonische Praxis auffallen und Interesse wecken, bei den Menschen, die durch das soziale Engagement der Kirche anzusprechen und zu sensibilisieren sind. Die diakonische Praxis der Kirche darf sich nicht im «Suppentag» und in der Altersarbeit (Seniorenanlässe und -besuche) und eventuell noch in einem Beitrag an die regionale Jugendarbeit erschöpfen. Da gehörte eindeutig noch mehr und noch anderes dazu, auch um überhaupt damit aufzufallen und Aufsehen zu erregen. (N.B.: Ich habe 7 Jahre mit Pfr. E. Sieber zusammengearbeitet)
Anschliessend daran geht es darum, den Hintergrund zu erklären, die kirchliche, glaubensmässige und theologische Basisbildung nachzuholen. Da besteht ein riesengrosser Nachholbedarf. Speziell die reformierte Kirche kann niemals auf ansprechender Liturgie und auf «hilfreiche» Religiosität aufbauen. Reformierte Kirche ist im Wesentlichen nicht Liturgie sondern Nachfolge, und Nachfolge braucht Wissen, Kenntnisse, Bildung und reflektierte Überzeugung mit Jesus und seiner Botschaft auf dem richtigen Weg zu sein.
Gerade in der modernen, aufgeklärten, individualisierten und säkularisierten Welt heute ist diese Grundlage unerlässlich. Einfach mitlaufen aufgrund gesellschaftlicher oder kirchlicher Konvention geht nicht mehr.
Und erst darauf aufbauend kann die Einsicht reifen, dass es so etwas wie Kirche braucht und so etwas wie Gottesdienst, dass Christsein als Einzelmaske nicht geht, dass das Gebet, das Abendmahl und die biblische Bildung dauernd zu einem praktizierenden Christsein dazugehören.
Ich frage mich, ob der angestossene Reformprozess im Aargau nicht einen Konstruktionsfehler hat. Basisdemokratische Mitwirkung in Ehren. Das kann schon Hinweise geben. Es eignet sich vor allem, um die Fragestellung zu klären. Um reflektierte Antworten zu geben in Bezug auf die Aufgaben, Inhalte und Strukturen der Kirche eignet es sich sehr wahrscheinlich eher weniger. Was es den Kevin oder die Mia dünkt, darf da nicht zu viel Gewicht haben. In diesem Reformprozess ist bisher nicht zu viel Theologie involviert, wie es einige dünkt, sondern eindeutig zu wenig.
Die kommunistische Sowjetunion ist 1989 zerfallen. – Wer war schuld daran?
Der Zerfall der Sowjetunion hat viel verändert, im Osten und im Westen. Diese Veränderungen waren faktisch „unwillkürlich“ und kaum beeinflussbar, weder im Osten noch im Westen. Sie wurden sogar erst im Nachhinein langsam sichtbar und analysierbar, wenn man sie überhaupt beachten wollte.
Die Länder, die damals ihrem eigenen Empfinden nach und im westlichen Verständnis frei und selbständig geworden sind, wie Polen, die Ukraine, die baltischen Staaten und andere, haben sich selber vehement dem Westen zugewandt und Schutz in der Nato gesucht oder suchen es noch. – Wer kann es ihnen verdenken? Sie wurden zuvor jahrzehntelang von „Russland“ unterdrückt und ausgebeutet.
Für viele Leute in Russland und in den ehemals von der Sowjetunion dominierten Ländern war es unter der kommunistischen Herrschaft „nicht nur schlecht“, oder es erscheint ihnen wenigstens im Nachhinein so, sogar im Osten Deutschlands; dies aus verschiedenen Gründen, für einige aus materiellen, für andere aus ideologischen, kulturellen und nostalgischen.
Viele Russinnen, „Russland“ und Putin empfinden die Veränderungen durch den Zusammenbruch der Sowjetunion als Verlust, Deprivation, ein in ihren Augen „unverdienter“ Macht- und Bedeutungsverlust als „Weltmacht“. – Wer ist an diesem, ihrem Gefühl „schuld“ oder verantwortlich?
Jetzt hat sich „Russland“ unter Putin mit einem brutalen Krieg versucht, das zurückzuholen, was ihnen ihrem Gefühl nach (vom Westen – ist das so?) „genommen“ worden ist. Und sie versuchen es weiter, und erklärtermassen geht es ihnen dabei nicht nur um die Ukraine, aber die zuerst.
Viele – unverständlicherweise auch kluge Leute – „verstehen“ das und verstehen – im Jahr 2023! -, dass „Russland“ mit einem furchtbaren Angriffskrieg, mit furchtbarsten Kriegsgräueln und Kriegsverbrechen, gegen das Völkerrecht, das Kriegsrecht und die Menschenrechte ein seit mehr als 30 Jahren selbständiges Nachbarland angreifen, zerstören und sog. „entnazifieren“ also russifizieren wollen.
Das ist unglaublich und für mich unverständlich. Das darf auch keinesfalls so enden, dass sich die Ukraine unterwerfen und aufgeben müsste. Das ist ganz gewiss keine friedenschaffende „Lösung“ mit Zukunft.
Wie kann man diesen Krieg beenden und Frieden schaffen?
Kein vernünftiger Mensch will diesen Krieg. Niemand? Putin und „Russland“ wollen ihn, haben ihn angefangen und führen ihn kompromisslos und um jeden Preis „bis zum Ende“. Wie kann es zu diesem Ende kommen, wenn keine Seite aufgeben will? Für die Ukraine geht es um ihre pure Existenz. Für „Russland“ geht es erklärtermassen sogar um mehr als „nur“ um die Ukraine. Für Putin geht es um die ganze Grösse und Hegemonie Russlands in der Welt. Das heisst wohl: Der Krieg insgesamt ist nicht zu stoppen, solange „Russland“ dieses Ziel hat. Das ist ein unvernünftiges Ziel. Deutschland könnte ja auch die „Rückeroberung“ von Königsberg, Schlesien und Hinterpommern militärisch anstreben wollen und die Türkei zum Beispiel das ganze Gebiet des ehemaligen Osmanischen Reichs. Und China ist weiter auf die Eroberung von Taiwan aus, das früher einmal zum chinesischen Kaiserreich gehört hat, der kommunistischen, sog. Volksbefreiungsarmee aber erfolgreich Widerstand geleistet hat. Das kann und darf alles im 3. Jahrtausend keine politische und militärische Option mehr sein – im Prinzip – und wird von einigen Ländern doch angestrebt.
Dagegen hilft ein kopfloser, wenig durchdachter und naiver Pazifismus und Aufrufe zum „Frieden“ nichts. Das hilft nur dem Recht des Stärkeren. Dem Recht des Stärkeren muss widerstanden werden, um ihm den Durchbruch zu verunmöglichen. Dazu ist leider in der nicht idealen, realen Welt unter Umständen Verteidigung des Landes durch Waffengewalt einer Armee nötig. Es hat keinen Sinn, davor die Augen zu verschliessen und illusionäre Idealismen zu beschwören.
Der Krieg ist aber nicht das einzige, starke Mittel, um diesem Recht des Stärkeren Paroli zu bieten. Statt naiv, unsachlich und kurzschlüssig dazu das Wort aus der Bergpredigt vom Hinhalten auch der anderen Backe zu zitieren, wie es eben ein Kollege in der Zeitung gemacht hat, sollte man meine Auslegung dazu in Betracht ziehen, s. zB. Biblisch-theologische Beiträge, Wissen über Jesus, Seite 31-34.
Beim Wort in der Bergpredigt geht es um persönliche Auseinandersetzungen, nicht um eine militärische Gewalteskalation zwischen Ländern und Völkern. Das ist nicht dasselbe. Allerdings können auch in diesem Bereich analoge, kreative und wirksame Strategien entwickelt und angewendet werden. Leitmotiv dabei muss die Nonkooperation mit dem Bösen sein. Dazu dürften auch die getroffenen Sanktionen gehören. Diese Nonkooperation mit dem Bösen müsste wohl noch konsequenter und kompromissloser sein, auch wenn sie einem selber schadet. Aber vertrete das mal jemand gegenüber dem stupiden Denken der Mehrheit. Im Klartext: Die sogenannt „gewaltlosen“ Mittel haben es schwer, von einer Mehrheit akzeptiert zu werden. Wo militärische Gewalt Platz gegriffen hat, muss leider in einem ersten Schritt mit derselben Gewalt dagegen gehalten werden. In einem weiteren Schritt können eventuell andere Machtmittel dazu beitragen, dass mehr Vernunft einkehrt und dass gemeinsam eine Lösung auf Basis einer anerkannten Rechtsordnung gesucht wird.
Für alle Menschen und Länder, welche die geltenden Rechtsordnungen schätzen und respektieren wollen, steht „Russland“ jetzt am Pranger und wird geächtet, wahrscheinlich auf lange Dauer. Wie lange das Ringen der Systeme und Weltsichten auch dauert, das Ende und die langandauernde, geschichtliche Ächtung wird für Russland so massiv und so tragisch herauskommen, wie nach dem 2. Weltkrieg für Deutschland als Erbe von „Nazideutschland“. Es droht „Russland“ auch auf Dauer von „Europa“ auszugrenzen. Das ist weltgeschichtlich tragisch. Von Zar Peter an hatte Russland ja trotz allen Kriegen und Umstürzen umgekehrt eine Nähe und Öffnung zu Europa hin gesucht.
Der verkannte Rabbi
Jesus ist vorschnell in die Dogmatik überführt und kirchlich domestiziert worden. Für viele Gläubige ist er damit zu einer Art verkürzter «Chiffre» für das geworden, was sie als «rechten Glauben» betrachten. Eine Folge davon ist, dass sie die Grundlagentexte in der Bibel durch eine eigenartige Brille zu betrachten gewohnt sind, die eingefärbt ist mit dem Filter ihrer je eigenen dogmatischen Tradition.
Die Reformation hat den dogmatischen Filter der katholischen Tradition durchbrechen und dafür die Schrift allein als Grundlage des Glaubens wieder gewinnen wollen. Dieser Versuch ist nur zum Teil gelungen. Es ist auch ein anspruchsvolles Unterfangen. Die Grundlagentexte unvoreingenommen, an der Sache interessiert, mit Entdeckerfreude und lernbegierig zu studieren, setzt einiges voraus. Es ist eine Wissenschaft. «Laien» daran zu beteiligen, ist löblich. Es braucht aber auch für sie eine nicht geringe Bildung und Lernbereitschaft.
Mit dieser Bereitschaft wäre über den verkannten Rabbi Jesus und von ihm überaus viel überraschend Neues und Wichtiges zu lernen.
Die reformierte Kirche neu zu beleben, braucht Menschen mit dieser Bereitschaft. Die Kirche braucht ein «Empowerment» von ihrem Ursprung, ihrer Grundlage und ihrem «Gründer» her, wobei Jesus ja nicht die Kirche gegründet hat, sondern mehr eine Bewegung von Menschen, die er neu gelehrt hat. Es braucht also Menschen mit diesem Bewusstsein, dieser Lernbereitschaft und dieser Bereitschaft zur Nachfolge. Es braucht eine Bewegung von Menschen, die seinen Ruf neu hören: «Du aber komm und folge mir nach!»
Die Kirche droht sonst an Nichtwissen und ignoranten Vorurteilen weiter einzugehen. Die klugen, interessierten und bewussten jungen Menschen fehlen ihr. Die noch übrig Gebliebenen zumeist älteren oder alten Menschen weiter zu betreuen allein reicht nicht. Es braucht eine Erneuerung durch Bildung und Bewusstsein.
Scharfe Kritik an der Kirchgemeinde Kulm
Mein Statement zu den Vorgängen in dieser Kirche im „Wynentaler Blatt“ vom 15. April 2021 sind im Archiv verschwunden und nicht mehr öffentlich greifbar. Darum publiziere ich diese Kritik nun auch hier. Das Problem ist noch längst nicht gelöst und nicht ausgestanden.
Etwa ein Jahr lang hat meine Frau als Kirchenpflegerin und zuvor schon als Mitglied der Pfarrwahlkommission der reformierten Kirche Kulm gedient. Sie hat dabei einen Einsatz von etwa einem halben Arbeitspensum geleistet. Ihr Ressort Liegenschaften ist in der Kirche Kulm sehr aufwändig. Sie haben zwei Kirchen und viele Liegenschaften und Grundstücke, die zum Teil vermietet und verpachtet sind. Zwei ehemalige Pfarrhäuser wurden von Vormietern in bedenklichem Zustand verlassen und mussten in Stand gestellt, renoviert und einer neuen Nutzung oder Vermietung zugeführt werden. Ich selber habe im und um das Unterkulmer Pfarrhaus herum freiwillig Arbeiten ausgeführt und dabei nicht einmal Material und Aufwand verrechnet. Die Kirche wird in Zukunft noch mehr auf solch freiwillige Zusatzleistungen angewiesen sein, wie es schon immer der Fall gewesen ist – in Zukunft auch auf dem Finanzbereich. Meiner Beobachtung nach hat meine Frau ihre Aufgaben in der Kirche Kulm überaus gewissenhaft, sachkundig und gut erfüllt. Die vielen Begegnungen mit Menschen aus der Gemeinde, Handwerkern und Fachleuten haben ihr Freude gemacht.
Aus dem Kreis von Mitarbeitenden und Behördemitgliedern wurde sie aber über Monate hinweg heftig persönlich angegriffen und schikaniert, mit immer neuen Aufgaben bedacht, mit unsachlichen und unrichtigen Vorwürfen und Behauptungen überhäuft, allfällige Fehler mit der Lupe gesucht, in privaten «Besprechungen» beschimpft und fälschlicherweise als Schuldige für die Konflikte hingestellt – und zuletzt auch noch in einer vom «Berater» der Landeskirche geleiteten Sitzung elegant «abserviert», sodass eine weitere Zusammenarbeit absolut unzumutbar wurde. Das hat sie tief enttäuscht und aus ihrer Glaubenshaltung heraus zu einem konsequenten Schritt veranlasst – nach Jahrzehnten engagierter Mitarbeit in der Kirche! Ich verstehe ihren Schritt vollkommen und würde ihn auch mitgehen, wenn man aus einer einzelnen Kirchgemeinde austreten könnte. Was da geschehen ist – unter den Augen und der längeren Begleitung und «Beratung» der Landeskirche! – ist äusserst erbärmlich und enttäuschend. Mit den für dieses schändliche Geschehen verantwortlichen Leuten möchte ich nicht mehr an einem Tisch sitzen und nicht im gleichen Atemzug genannt werden.
Um diesen Karren ein weiteres Mal aus dem Dreck zu ziehen, braucht es sehr gute Leute. Es nimmt mich auch wunder, wo sie die hernehmen wollen.
Nochmals etwas zum überlegen, nachdenken und einordnen der coronabedingten Fragen und Entwicklungen
Statement zur „Besonderen Lage“ in der Schweiz
Trotz derzeit hohen Ansteckungsraten sind meiner Ansicht nach die Voraussetzungen zur weiteren Aufrechterhaltung der „Besonderen Lage“ durch den Bundesrat jetzt (Mitte November 2021) nicht mehr gegeben; sie und alle damit zusammenhängenden Vorschriften müssten jetzt aufgehoben werden. Das bisherige Regime der Pandemiebekämpfung ist auf Dauer kein taugliches Mittel zur Stärkung der Volksgesundheit. Die natürliche Entwicklung und Bewältigung der Krankheit muss auf Dauer akzeptiert werden.
Das gilt für jeden einzelnen Menschen und für die Gesellschaft als Ganzes. Dabei hat jeder Mensch die Möglichkeit, für seine Gesundheit zu sorgen, so wie er oder sie es für richtig hält, und der Staat darf nicht ohne Not Grundrechte einschränken; eine solche Not besteht derzeit nach meinem Dafürhalten bei uns nicht mehr.
Mit den Massnahmen des Bundes und der „besonderen Lage“, die der BR am 17. März 20 verfügt hat, kann ich nicht besonders viel anfangen. Ich halte einen Teil der Massnahmen für eine angstbesetzte Überreaktion, die sich zudem in der Zwischenzeit z.T. auch deutlich als solche erwiesen hat. Trotzdem werden viele der unnötigen Massnahmen noch nicht zurückgenommen, darunter z.B. die Ausserkraftsetzung vieler bürgerlicher Freiheiten und demokratischer Rechte (Einreichung von Initiativen verboten etc.) und auch dem Verbot von Gottesdiensten. Wie viele Ansteckungen sind denn in Gottesdiensten geschehen – vermutlich keine; jedenfalls sind sie kaum nachweisbar. Ebenso wenig ist eine Wirkung des Verbots nachweisbar – nebst anderen Verboten. Also im Klartext: Welches Verbot hat wieviele Ansteckungen verhindert? Oder sind jetzt einfach pauschal alle getroffenen Massnahmen – sinnvolle und unsinnige – gleichermassen dafür verantwortlich, dass es nicht schlimmer gekommen ist?
Jetzt sind die Begründungen der Massnahmen verschoben worden. Zu Beginn wurden die Massnahmen mit dem definierten Ziel erlassen, eine befürchtete, mögliche Überlastung der Spitäler zu verhindern. Dem konnte zugestimmt werden, da man ja tatsächlich über die Virulenz des Virus wenig wusste – hätte ja sein können, dass es schlimm gekommen wäre. Die Intensivpflegeplätze in den Spitälern stehen aber zu 2/3 leer! Es ist zum Glück nicht so schlimm gekommen. Nun aber werden dieselben Massnahmen im Nachhinein damit begründet, dass die Gesundheit der Bevölkerung geschützt werden müsse und das habe absolute Priorität. Das ist eine ganz neue Argumentation, und die ist nicht wirklich rational und vernünftig. Dass die Gesundheit der Bevölkerung jetzt plötzlich auf diese und nur auf diese Weise vom BR geschützt werden könnte und müsste, ist sehr, sehr fraglich. Das kann getrost mit nein beantwortet werden. Das ist keine hinreichende und vernünftige Begründung für all diese Massnahmen. Das ist eine aus lauter Ängsten geborene „Rationalisierung“ des fälschlicherweise, in Überreaktion eingeschlagenen Kurses; den soll es offenbar „rechtfertigen“.
Bei der Zunahme der Erkrankungen am Coronavirus sehe ich keinerlei Anzeichen, dass die am 17. März verfügten Massnahmen auch nur irgendeinen dämpfenden Effekt gehabt hätten. Die Kurve sieht ganz genau so aus, wie ich sie schon ganz zu Beginn erwartet habe, ohne Epidemiologe zu sein, nämlich mit einer Gauss’schen Normalverteilungskurve mit dem Höhepunkt etwa Ende April. Es mag sein, dass sie insgesamt minim abgeflacht verlaufen ist. Sie wird – mit Naturnotwendigkeit! – weiter so verlaufen, wie sie muss, wie sie im Wesentlichen gar nicht anders kann. Sie wird Mitte Juni wieder im Bereich gegen Null „landen“ – mit oder ohne all die verordneten Massnahmen. Im Gegenteil – mit wird es höchstens noch etwas länger gehen. Es werden aber nicht weniger Patienten betroffen sein.
Wie viele werden betroffen sein, respektive wie viele werden an diesem Virus in Verbindung mit andern Krankheiten oder Schwächen insgesamt sterben?
An der Grippewelle im Jahr 2015 sind etwa 2500 Leute gestorben, d.h. etwa 1000 mehr als in durchschnittlichen Jahren. In der Statistik oben sieht man, dass die normalerweise eintretenden Todesfälle bei den über 65-Jährigen in diesem Jahr bis Anfang März an der untersten Grenze oder darunter lagen. Man könnte etwas zynisch sagen: Es bestand fast etwas „Nachholbedarf“ im Vergleich zum mehrjährigen Durchschnitt. Im April folgte ein markanter Anstieg aufgrund der Coronainfektionen. Bei den Jüngeren ist der Verlauf trotz Coronavirus ganz normal. Bisher sind den Meldungen gemäss etwa 1600 Menschen an diesem Virus gestorben – die allermeisten davon nicht etwa am Virus allein, sondern im Verbund mit andern Vorerkrankungen oder altersbedingten Schwächen. Ohne mich sehr auf die Äste hinauszulassen, kann ich profezeien, dass es am Schluss etwa doppelt soviele sein werden, d.h. in der ganzen Schweiz vielleicht 500 mehr als eine gröbere, saisonale Grippe jeweils fordert.
Sind dafür all die Kollateralschäden, darunter wohl auch Krankheiten und Todesfälle, Depressionen, zu erwartende Konkurse, die Vielen die deswegen arbeitslos oder zu Sozialfällen werden, in Kauf zu nehmen und gerechtfertigt? – Dazu möchte ich doch noch ein paar Fragezeichen mehr machen???? – So etwas hätte die Schweizer Bevölkerung bei klarem Verstand nie und nimmer zugestimmt. Dass sie es jetzt scheinbar tut, ist nur den von den Behörden provozierten, überbordenenden und irrationalen Ängsten zuzuschreiben. Das wird sich noch rächen, sobald es die Leute „checken“.
Von den Virologen und Epidemiologinnen höre ich in den Medien kaum je gesicherte, wissenschaftliche Zahlen und Fakten – nicht einmal die, welche man ganz gewiss aus den bereits vorliegenden Zahlen herauslesen könnte! Stattdessen noch und noch irgendwelche auf die Zukunft bezogenen „Meinungen“ oder „Einschätzungen“. Sie werden von den Journalistinnen ja auch stets danach gefragt. Aber anstatt zu sagen, „das kann man nicht wissen“, vermuten sie irgendetwas mit einer Wahrscheinlichkeit, die sie auch nicht definieren, die aber irgendwo im Bereich von 50% liegen muss – kann sein, kann auch nicht sein. Ich glaube, die leben jetzt wohl daran, dass sie in den Medien so prominent zur Sprache kommen, und die Medien bewirtschaften einfach das Thema ohne erkenntlichen Gewinn für die Medienkonsumenten. Es wird nur noch mehr Angst geschürt und laufend Treueschwüre zu den Behörden und ihren Massnahmen abgegeben. Mich überzeugt das nicht, ganz im Gegenteil: Es macht mich mehr und mehr skeptisch und kritisch in Bezug auf ebendiese.
Meine Erfahrungen gründen sich u.a. auf 7 Jahre Kirchenleitung einer Kantonalkirche (Vicepräs. und Leitung Gruppen-Ressort Theologie, Leben und Glauben der Kirche), 7 Jahre Stellenleitung und Mitwirkung in Spitalleitung, Leitung Sozialdienst und Beratungsstelle, Gassenarbeit und im Team der Gesamtleitung einer NPO (Stiftung Sozialwerke Pfr. Sieber, Zürich), sowie mehr als 30 Jahre Gemeindepfarramt in unterschiedlichen Gemeinden (Alleinpfarramt in reformierten Gebieten und der Diaspora, Mehrstellengemeinden dito, 2 Gemeinden, die sehr am Rand dahinserbelten wieder zum Blühen gebracht und 2-3 weiteren Gemeinden als Stellvertreter und Berater zu neuen Teams verholfen).
Insgesamt haben wir das Pech, in den letzten 60 Jahren einem Megatrend mit «fortlaufendem Erfolg» ausgeliefert gewesen zu sein, der sich noch weiter fortzusetzen scheint. Der Talboden dürfte aber bald einmal erreicht sein. In einem gewissen Ausmass dürfen wir in Zukunft wieder mit einem beschränkten Erstarken rechnen, wenn wir das auch gut angehen. Wieder eine dominante Mehrheit als «Volkskirche» zu werden wie noch nach dem 2. Weltkrieg, dazu wird es in der modernen Gesellschaft nicht mehr kommen. Aber Lenin soll gesagt haben: Mit 15% der Bevölkerung kann ich eine Revolution machen. Ich sage: Wie viele % auch immer es sind, wenn sie wirklich wollen, können sie noch einmal so viele dazugewinnen – mindestens. Aber es braucht eine zielgerichtete Arbeit dazu, Gebet, Gottvertrauen, Mut und einen langen Atem. Und es wird nur als Teamwork gelingen. Fangen wir damit an.
Teamwork
Meine Beobachtung und Erfahrung ist die, dass in den Kirchgemeinden – wenn überhaupt – einzelne, initiative Menschen (Pfarrpersonen, Diakoninnen, Katechetinnen, Kirchenpflegepräsidentinnen etc.) am Werk sind, die je ihre eigene Idee haben, wie sie «erfolgreich» sein können – je mit dem, was sie selber am liebsten machen und am besten können. Und der liebe Gott werde dann schon seinen Segen dazu geben und seine Kirche wachsen lassen wie das Gras auf dem Feld. Das führt dazu, dass höchstens um all diese Einzelkämpferinnen herum eine kleine «Personalgemeinde» von ihren «Fans» entsteht, was sie als Ihren Erfolg betrachten. Das als nachhaltigen Gemeindeaufbau zu verstehen, ist ein wenig naiv. Richtig ist, dass alle Angestellten und viele Freiwillige zusammen mit je ihren speziellen Gaben viele Aufgaben im Dienste eines Gemeindeaufbaus leisten können und sollen, so dass für die Gaben die richtigen Aufgaben gefunden werden und umgekehrt. Das allein zeigt schon, dass es dazu eine ebenso begabte Koordination und Leitung braucht. Bei den Aufgaben hat es auch solche, die unabdingbar sind, aber niemand gerne macht; sie müssen trotzdem gemacht und halt gemeinsam gemacht werden, wie es auch sonst im Leben etwa der Fall ist. Auch dazu braucht es eine Leitung und Führung, die kollegial, aber unerbittlich, zu stetigem Teamwork anhält. Ganz von selber geschieht es auf Dauer nicht.
Dazu ist es wiederum eine Voraussetzung, dass man gemeinsam abgesprochen hat und weiss, wohin man gelangen will, was die gemeinsamen Ziele sind und auf welchem Weg etwa, diese Ziele anzugehen sind. Das mag dann insgesamt ein Prozess sein, der auch laufend evaluiert und korrigiert werden muss. Auch dazu ist eine bewusste, weitsichtige und zielbewusste Leitung nötig.
Kirche und Kirchenbild
Sprechen wir von der «Kirche». Kirche ist nicht gleich Kirche. Kirche hat sich im Laufe der Jahrhunderte und in den letzten Jahrzehnten verändert. Eine Kirchgemeinde in der Stadt ist nicht dasselbe wie in einem Dorf auf dem Land oder in einer Agglo-Diaspora. In einer grossen Gemeinde mit mehreren Pfarrstellen ist es etwas Anderes als in einer Einstellengemeinde, in einer Gemeinde mit liberaler oder religiös-sozialer Geschichte etwas Anderes als in einer ländlichen Gemeinde, die seit Jahrzehnten langjährig nur von pietistischen und fundamentalistischen Pfarrern geprägt worden ist und sich immer noch eines relativ grossen Gottesdienstbesuchs erfreuen kann – mit Zuzug auch von auswärts.
Die erste Frage, die zu klären ist: Was finden wir vor Ort genau für eine Situation vor? Die zweite Frage ist dann: Wohin, in welche Richtung soll diese Gemeinde weiterentwickelt werden? Die nächsten Fragen: Was müssten wir machen, was müsste geschehen, wo könnten wir am sinnvollsten ansetzen, damit eine Entwicklung in dieser Richtung möglich würde und in Gang kommen könnte?
In einer grossen Stadt ist fast für jede Idee und jede Art von besonderer Kirche ein gewisses «Klientel» zu finden und dafür zu gewinnen, z.B. mit verschiedenen Stilen von Gottesdiensten für mehrere soziologischen «Milieus» oder auch mit anderen Angeboten in den Bereichen Bildung und Diakonie. In einer Dorfkirche ist das nicht ganz so einfach. Da folgen sich die besonderen Gottesdienste im Jahreslauf ohnehin in bunter Folge, Feiern mit den verschiedenen Stufen im Religionsunterricht zu Taufe oder Abendmahl, Erzählgottesdienst mit Kindern, Familiengottesdienste im Wald, Konfirmationen, Kinderweihnacht, Taufen, mit dem Jodlerclub oder dem Gospelchor, nebst den Hochfesten mit Osterfrühfeier und Christnachtfeier, Sommerliederabend etc.etc. An der Besucherfrequenz in diesen diversen, unterschiedlichen Feiern ändert sich dabei in punkto «Gemeindeaufbau» grosso modo nichts, mögen sie so gut und ansprechend sein, wie sie wollen.
Wenn es darum gehen sollte, die aktive, praktizierende Gemeinde zu stärken und zu vergrössern, fragt es sich also, ob man dabei wirklich beim Gottesdienst ansetzen kann oder wo sonst?
«Out of the box» denken – und handeln
Die Praxis und Erfahrung aus meiner Zeit mit Pfr. Sieber und jener NPO mit Gassenarbeit, laufend neuen diakonischen Projekten, wo immer er eine Not sah, oft gegen den Widerstand der «Finanzbürokratie» und dem verantwortlichen Stiftungsrat wegen «nichtbudgetierten» Spontanaktionen – nebst den Widerständen von städtischen Ämtern, die andauernde Notwendigkeit für die ganze Arbeit auch das Geld aufzubringen – in den institutionalisierten Bereichen (Spital, Therapie-, Aufnahme und Abklärungsstationen) teilweise auch durch Kostenträger und Verkauf von Leistungen, hat mir gezeigt, dass es möglich ist, dass gute, wichtige und richtige Arbeit honoriert und finanziert wird – nicht nur das, was im Voraus jahrelang geplant und budgetiert ist. Wir arbeiten mit Menschen im Hintergrund, die auch engagiert und motiviert sind und nicht nur mit anonymen Steuerzahlern und Steueraufkommen. Viele freie Werke und Missionen machen dieselben Erfahrungen. Davon muss die Institution Kirche lernen. Das braucht oft auch viel Gottvertrauen und unternehmerisches Denken. Gerade das fehlt meiner Beobachtung nach in den Kirchgemeinden weitgehend. Und die Wenigen, die es wagen, derart unternehmerisch zu denken und entsprechende Vorschläge zu machen, werden durch die konservativen, auf Sicherheit bedachten, wenig mutigen Bedenkenträger regelmässig ausgebremst und ausgebootet.
Solche Leute, die festgefügte Vorstellungen haben vom richtigen Glauben und von der Kirche, wie sie ihrer Ansicht nach sein sollte oder wieder werden sollte, von den Aufgaben der Kirche und was sie nicht machen und nicht sein sollte, hat es leider immer noch viel zu viele. Daneben und andernorts hat es auch solche, die das «Kind mit dem Bade» ausschütten möchten, die meinen, man dürfe halt nicht mehr «mit der Bibel kommen» und stattdessen «moderne», diverse Angebote an (nichtchristlicher, nichtbiblischer) «Spiritualität» anbieten wollen, die mehr Interesse fänden.
Was daran richtig ist: Wir müssen viel mehr «out of the Box» denken! Dann geht es eben nicht um das Vertraute, Übliche und die üblichen Denk- und Lösungsansätze. Es geht nicht um irgendeine Reform und Anpassung der Kirche an den gesellschaftlichen Trend und Megatrend, sondern um eine reformatorische Reform, die sich ihrer Grundlage bewusst ist. Kirche ist nicht nur eine öffentlich-rechtliche Institution, sondern eine geistliche Bewegung von Menschen, die in Bewegung gesetzt wurde und wird durch die Botschaft von Jesus Christus. Der hat nämlich nicht «die Kirche» gegründet, wie viele meinen, und auch nicht «das Christentum» als Religion, das schon gar nicht. Seine Botschaft ist keine «Religion», sondern wenn schon, war sie religionskritisch. Aber darüber und darüber, was in seinem Sinne «Glaube» ist, müsste man erst einmal genauer nachschauen und nachdenken, auf der Grundlage selbstverständlich der Schrift.
Jesus
Er hat ganz offensichtlich keine «Kirche», keine Institutionen und praktisch überhaupt keine festen Strukturen geschaffen, gehabt oder gegründet mit Ausnahme des 12-er-Kreises an Aposteln, den er aus seinen Nachfolgerinnen und Nachfolger berufen hat. Er hatte nicht einmal eine eigene Unterkunft mit Ausnahme einer Art «Standquartier» und gelegentlichem Aufenthalt im Haus des Petrus in Kfar Nachum (Kapernaum), wo er einmal zu Beginn seiner öffentlichen Tätigkeit dessen Schwiegermutter geheilt habe. – Wenn Schwiegermutter, dann wohl auch eine Tochter und Frau von Petrus, die möglicherweise nicht mehr am Leben war. Ausgrabungen lassen darauf schliessen, dass das Haus des Petrus in Kfar Nachum später zu einer frühen Hauskirche (Versammlungslokal) wurde.
Zu einem potentiellen Nachfolger sagte er nach Lk. 9,58 einmal warnend, er habe nichts, wo er sein Haupt hinlegen könne. Meistens war er unterwegs, im Freien, oder liess sich als Gast einladen. Das mag von April bis Oktober-November in jener Gegend sogar eher möglich gewesen sein als etwa bei uns in Mitteleuropa, war aber auch nicht gang und gäbe. Draussen bei den Menschen zu sein war für ihn offenbar Absicht und Programm. Andere, mit denen er auch Kontakt hatte, hatten sich dagegen mehr abgeschottet und zurückgezogen, wie Johannes der Täufer oder die Essener. Diese beiden pflegten auch eine viel rigidere, strenge und enthaltsame Lebensführung und Glaubenshaltung. Nach Lk. 7,34 warfen ihm die Leute sogar vor, er sei im Unterschied zu diesen Andern «ein Fresser und Weinsäufer, ein Freund der Zöllner und Sünder».
Am religiösen Leben des jüdischen Volkes hat er teilgenommen und die religiösen Regeln und Gebote eingehalten, allerdings nicht in streng orthodoxer Manier, sondern nach einer freieren und seiner Ansicht nach besseren, im rabbinischen Diskurs auch vertretbaren, eigenen Auslegung. Er hat gelegentlich an Synagogengottesdiensten teilgenommen und ist in den Tempel gegangen, beides in kritischer Solidarität. Er hat dabei von vielen Zustimmung erfahren, von vielen auch Ablehnung und ist sogar aus seiner Heimatstadt Nazareth vertrieben worden. Es ist ihm ergangen wie vielen Propheten vor ihm. Von der orthodoxen, religiösen Obrigkeit in Jerusalem ist er schliesslich gefangen genommen und zu Tode gebracht worden. Mit ihrer religiösen und politischen Haltung war Jesus mit seiner Botschaft aus der Sicht seiner Gegner letztlich nicht kompatibel. Er galt ihnen als Gotteslästerer. Er war ihnen nicht fromm und religiös genug. Sie fühlten sich von ihm und seiner Botschaft in ihrer Religion existentiell herausgefordert und bedroht.
Insbesondere in seinem Verhalten Frauen gegenüber, wie einer Ehebrecherin, einer samaritanischen Frau mit zweifelhaftem Ruf und sogar einer ausländischen, nichtjüdischen Syro-Phönizierin gegenüber, zeigt sich, dass er festgefügte, doktrinäre, konservative, moralische Gebote und Regeln jederzeit mit gutem Grund hinter sich lassen und übergehen konnte. Er konnte streng sein, wo es in seinem Sinn um den Glauben an Gott, den Vater im Himmel, und um echte Nachfolge ging, aber er war absolut nicht doktrinär. Er hat seine Glaubensüberzeugung auch nicht in einen Lehrsatz oder Lehrsätze gegossen, die zu akzeptieren und zu «glauben» wären, um sich von «Ungläubigen» abzugrenzen. Nach Mk. 9,40 habe er sogar einmal gesagt: „Wer nicht gegen uns ist, ist für uns“. Das sagte er über einen, der in seinem Namen Gutes tat (Dämonen austrieb). Das auf den ersten Blick gegenteilige Wort in Mt. 12,30, „Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich, und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut“, ist in der Sache nicht wirklich ein Gegensatz.
In 1. Kor. 15,3 überliefert Paulus, «dass Christus für unsere Sünden gestorben» sei (ähnliche Aussagen in 1. Petr. 3,18; Hebr. 10,10). Das ist ein Lehrsatz des Glaubens der frühen Christen. Er sollte für die Menschen damals den unverständlichen Tod und die Auferstehung mit einem nachvollziehbaren Sinn erfüllen. Für die Menschen damals war ein Opfer oder ein Opfertod zur Vergebung der Sünden eine verständliche und nachvollziehbare Aussage. Für heutige Menschen ist sie das nicht mehr. Dieser Lehrsatz macht aber erst nach dem Tod Jesu und aufgrund seiner Auferstehung einen gewissen Sinn. Jesus selber wusste davon noch absolut nichts und hat nie etwas Derartiges gesagt oder gelehrt.
Als Glaubensgrundlage, an der sich sein oder nicht sein vom christlichen Glauben entscheidet, ist auch dieser oft vorgebrachte, doktrinäre Grundsatz untauglich. Das heisst nicht, dass er falsch oder sinnlos wäre, aber er muss erklärt und ausgelegt werden wie auch alle weiteren, späteren «Glaubensbekenntnisse».
«Glauben» heisst nicht irgendetwas Lehrsatzmässiges, irgendeine Lehr-Aussage «glauben» im Sinne von fraglos akzeptieren und nachsprechen. Solcher Art «Glauben» ist Teil jeder Doktrin und jeder Religion. Das widerspricht klar allem, was Jesus gelehrt und vorgelebt hat. «Glauben» in seinem Sinn heisst ihm nachfolgen, und über den Weg und das «Glauben» an das Reich Gottes, wie er es gelehrt hat, hat er in Bildern und Gleichnissen gesprochen und nicht in doktrinären Lehrsätzen. Das heisst für mich, «Jesus im Herzen haben» und nicht irgendeine pietistische «Jesusfrömmigkeit», die von einem selber gemachten Jesusbild ausgeht.
Wenn es darum geht, in und mit der Kirche neue, erfolgversprechende Wege in die Zukunft zu gehen, dann plädiere ich dafür, dass wir ganz zur Grundlage zurückgehen, nämlich zu Jesus und zu seiner Botschaft selber und von ihm lernen. Das ergibt eine sinnvolle Reform. Dazu müssten wir von aller Institution und allen gesetzten Strukturen erst einmal absehen und es wagen, von Grund auf neu zu denken – eben «out of the box».
Konkret
Wenn die Mitgliederzahl einer Kirchgemeinde unter 1000 fällt – in einer Gemeinde mit mehreren Tausend Einwohnern, dann kann eine Fusion mit einer Nachbargemeinde nicht die einzige Option sein. Man müsste sich zuerst doch fragen: Wie werden wir wieder relevant für die Menschen, wie werden wir wieder mehr?! Und wenn das (Steuer-)Geld fehlt, müsste man sich fragen: Wie kommen wir zum nötigen Geld für das, was nötig ist zu tun?
Und wenn zum Beispiel ein Pfarrhaus im Besitz der Gemeinde nicht mehr gebraucht zu werden scheint, weil angeblich junge Pfarrerinnen und Pfarrer nicht mehr in einem Pfarrhaus neben der Kirche wohnen wollen oder weil man ohnehin eine Pfarrstelle weniger hat und gar nicht will, dass in jener Gemeinde drüben je wieder ein Pfarrer wohnt und man ihn aus der eigenen Gemeinde damit wieder hergeben müsste, dann kann nicht die erste und einzig naheliegende Option sein, dieses Pfarrhaus neben der Kirche mit seiner ganzen Geschichte zu verkaufen. Man könnte sich zum Beispiel auch fragen: Wie können wir dieses Haus für die geistliche Entwicklung der Gemeinde anders nutzen, z.B. für eine WG junger (oder auch weniger junger) Menschen, die gemeinsam ein geistliches Leben führen möchten und in der Kirche nebenan wöchentlich oder sogar täglich eine öffentliche Andacht halten, die Anlässe organisieren und ein diakonisch-offenes Haus führen? Warum sollte das nicht ebenso möglich sein; man müsste es nur wollen und wissen und können, wie man so ein Projekt angeht.
Man müsste viel unternehmerischer denken. Ein zurzeit leerstehendes Haus ist nicht primär eine finanzielle Last, sondern es ist ein leider zurzeit noch nicht genutztes Produktionsmittel, das man unbedingt für die Gemeinde nutzbringend einsetzen müsste. Und mit nutzbringend meine ich nicht finanziell nutzbringend, indem man es zum Beispiel einfach an irgendwelche Bewohner vermietet, sondern geistlich nutzbringend, damit es zum weiteren Aufbau der Gemeinde etwas beiträgt. – Den Lead darf in der Kirche nicht die Finanzbürokratie haben!
In der Nachfolge Jesu für die Menschen um uns herum relevant werden nicht, indem wir ihnen Traktätchen schenken und meinen, damit hätten wir «das Wort» ausgeteilt und können den Einen oder die Andere zum Glauben gewinnen. Damit nerven wir die meisten nur und verstärken ihre Vorurteile. Wir müssen uns fragen: Wie können wir für unsere Mitmenschen und für die Ortsgemeinde um uns herum wirklich relevant werden und sie positiv berühren und Interesse am Mittun in der christlichen Gemeinde wecken? Beginnen wird es mit Diakonie im weitesten Sinn und mit Gemeinsamkeiten (Hobbies, Freizeit- oder kulturelle Aktivitäten); die erforderliche Bildung wird auf Nachfrage nachfolgen.
Das Wesentliche wird eher ausserhalb der kirchlichen Räume und Strukturen geschehen als innerhalb derselben. Wir müssen also mehr zu den Menschen hinausgehen wie Jesus, anstatt nur Angebote zu machen und zu warten, ob sie kommen. Sie kommen einfach so von selber eher nicht.
Aber auch in einer ganz säkularisierten Bevölkerung interessiert es halt einige doch plötzlich, und sie fragen: Was habt ihr Christen eigentlich mit eurem Glauben? Das sind dann die guten Ansatzpunkte – komm und sieh!
Meine exegetischen Anmerkungen lassen auf eine frühe Datierung des Markusevangeliums schliessen, ums Jahr 65.
Kurzer Prozess mit Jesus
Mit Jesus ist vor 2000 Jahren kurzer Prozess gemacht worden aus religions- und machtpolitischen Gründen und Gründen der Staatsräson, fast ein wenig wie jüngst mit Alexej Nawalny in Moskau. Ich habe dazu eine „Passionsbesinnung“ verfasst mit vielen Infos zu den zeitgeschichtlichen Hintergründen, die so allgemein wohl kaum bekannt sind.
Hinsichtlich der biblisch-theologischen Erkenntnisse ist sie längst nicht überholt. Der Auftrag war seinerzeit einen Forschungsbericht in die Gegenwart weiterzuführen; es wurden daraus eigene „Erwägungen“, wie Prof. Wildberger es genannt haben wollte. Er war etwas enttäuscht, dass ich seine ägyptische Hypothese mit keinem Wort erwähnt hatte. Allerdings hatte er darüber meines Wissens auch nicht publiziert – und ich musste schliesslich einen „Forschungsbericht“ schreiben nicht eine Hommage an Wildberger …
Dazu kommt, dass „Strukturanalyse“ im deutschen Sprachraum bis heute als Methode nicht wirklich anerkannt ist. Schade, sehr schade. Sie bringt nämlich gerade in der apokalyptischen Literatur Ergebnisse, die durch historisch-kritische oder andere literarkritische Methoden nicht erhoben werden können, sondern sogar verpasst werden.